How to richtig? Vol. 1

Warum überhaupt logisch argumentieren?

TL;DR
Warum wir so oft überzeugt sind – und so selten prüfen, wieso. Wir halten ständig Dinge für wahr. Über die Welt, über uns selbst, über das, was richtig oder falsch ist. Aber wann ist eine Überzeugung mehr als nur ein Bauchgefühl? Wann sprechen wir wirklich von Wissen – und wann nur von einer Meinung mit gutem Marketing? In diesem ersten Teil geht es darum, wie man faktische von normativen Überzeugungen trennt, was gute Gründe ausmacht, und warum Überreden nicht dasselbe ist wie Überzeugen. Du entdeckst, warum es sich lohnt, Argumente nicht nur zu erwidern, sondern sie in ihrer stärksten Form zu verstehen – und zu prüfen, ob sie wirklich tragen.

Wir Menschen sind sinnsuchende Wesen. Uns interessiert nicht nur, dass etwas geschieht, sondern warum: Warum ist etwas so, wie es ist? Warum sollte man dies oder jenes tun? Warum hat jemand so gehandelt? Die Frage nach dem Sinn bzw. dem Zweck einer Sache begleitet unser Leben – in Freundschaften, bei beruflichen Entscheidungen, politischen Wahlen und in ethischen Konflikten.

Wir suchen nach Sinn, weil er uns Orientierung gibt – im Denken und im Handeln. Etwas ergibt für uns Sinn, wenn wir es in einen Zusammenhang mit etwas anderem stellen oder ein Ziel darin erkennen können. Ob eine Handlung sinnvoll erscheint, hängt davon ab, welche Voraussetzungen wir annehmen und in welchem größeren Zusammenhang wir sie betrachten. So kann etwa ein langer Spaziergang dazu dienen, sich zu entspannen – oder jemandem beizustehen. Was sinnvoll ist, hängt vom Ziel ab, das verfolgt wird, und vom Rahmen, in dem wir das Geschehen deuten. Die zentrale Frage „Was soll ich tun?“ ist dabei untrennbar mit der Frage verbunden, wie wir Handlungen, Entscheidungen und Überzeugungen angemessen bewerten können. Und hier kommt das Argumentieren ins Spiel.

Argumentieren – ein Werkzeug der Orientierung

Argumentieren ist kein Selbstzweck, sondern ein zentrales Mittel, um sich im Denken und Handeln zu orientieren. Die Fähigkeit, gute Argumente zu erkennen und zu bilden, ist eine grundlegende Orientierungsleistung: Sie hilft uns, klarer und lückenloser zu denken, verlässlicher zu urteilen und bessere Entscheidungen zu treffen. Sie ermöglicht es uns, Überzeugungen methodisch zu hinterfragen und zu revidieren, wenn neue Gründe es nahelegen; Und sie schützt uns vor Trugschlüssen. Doch es kann auch Hindernisse für eine gelungene Diskussion und das Verstehen von Argumenten geben.

Gespräche über bedeutungsschwere Themen wie Veganismus können frustrierend sein – besonders wenn man merkt, dass man sich missversteht oder den eigenen Punkt nicht klar ausdrücken kann. Hinzu kommt: Bei der Vielzahl an Charakteren, Perspektiven und Vorerfahrungen, mit denen man in Diskussionen konfrontiert ist, kann es schwer sein, eine gemeinsame Grundlage zu finden. Ohne geteilte Grundannahmen und -haltungen bleiben viele Diskussionen oberflächlich oder zerfasern sich in Belanglosigkeiten.

Dies kann an Hindernissen liegen, die eine erfolgreiche Diskussion unmöglich machen – also an Problemen bei grundlegenden Bedingungen für einen guten Austausch: etwa ein gemeinsames Verständnis zentraler Begriffe (semantisch), ein strukturierter Gesprächsverlauf (pragmatisch), Einigkeit darüber, was als Beleg oder Argument zählt (grundlegende Kenntnisse), ein fairer und ehrlicher Umgang (normativ), Offenheit (emotional und intellektuell) – und nicht zuletzt eine minimale Übereinstimmung in grundlegenden Weltanschauungen oder Zielsetzungen (grundannahmebezogen). Fehlen diese Voraussetzungen oder werden sie verletzt, erschwert das die Diskussion – egal, wie gut ein Argument ist.

Solche Hindernisse können zu verwirrenden Sätzen, thematischen Ausweichmanövern oder irrelevanten Bemerkungen führen, die uns überfordern können.  

Zwei Beispiele:

Person A: „Löwen essen ja auch Fleisch, also muss ich nicht vegan leben.“
Person B: „Du bist kein Löwe, also musst du vegan leben.“

oder

Person A: „Der Mensch ist kein Tier, also muss ich nicht vegan leben.“

Person B: „Doch, wir sind Homo sapiens, gehören zur Gattung Homo, die wiederum zur Familie der Primaten zählt – also musst du vegan leben.“

Diese Beispiele sind bewusst einfach gehalten. Sie zeigen, wie eine Denk-Lücke entstehen kann: „Löwen essen Fleisch, also muss ich nicht vegan leben“ besteht aus zwei Teilen, verbunden durch „also“. Der zweite Teil ist der Standpunkt, begründet durch das Verhalten der Löwen. Oft bleibt unausgesprochen, auf welcher weiteren Annahme das Ganze beruht – zum Beispiel: „Was Tiere tun, darf ich auch tun. Diese unausgesprochenen Voraussetzungen sollten in Gesprächen zumindest im Hinterkopf behalten und im Bedarfsfall thematisiert werden – nicht nur, um die Verbindung zwischen den Argumentteilen deutlich zu machen, sondern auch, weil sie darüber entscheiden, worauf ein Argument überhaupt aufbaut und welche Schlussfolgerungen daraus möglich sind.

Die Standpunkte nach dem „also“ sind konträr, erfüllen aber dieselbe Funktion: Es geht jeweils um die Frage, ob jemand vegan leben sollte oder nicht, und bildet damit die Hauptthese, die bestritten oder begründet werden soll. Der Unterschied liegt in der Begründung davor: Person A verweist auf Löwenverhalten, Person B auf die Zugehörigkeit zur Art Homo sapiens. Worum es eigentlich geht – und warum die Offenlegung der Regel so wichtig ist – zeigt sich daran, dass sie zu völlig unterschiedlichen, ja gegensätzlichen Standpunkten führen kann.

Im ersten Fall lautet die Regel: „Was Tiere tun, darf ich auch tun.“
Im zweiten: „Menschen, die ihre Handlungen kontrollieren, reflektieren und danach streben können, Tierausbeutung möglichst zu vermeiden, sollten dies auch tun.“

Entweder man orientiert sich am Verhalten von Tieren – und akzeptiert damit auch Rangkämpfe, Kindstötungen, Ausgrenzung oder das Zurücklassen kranker Gruppenmitglieder; Oder man geht davon aus, dass der Mensch aufgrund seiner Fähigkeit zur ethischen Reflexion verpflichtet ist, entsprechend zu handeln.

Das Problem: Person B’s Aussage wirkt auf den ersten Blick wie eine gute Antwort – aber es fehlt die Begründung, warum aus „Wir sind Homo sapiens“ die Pflicht zum Veganismus folgen könnte. Vollständig lautet das Argument:

„Wenn Menschen ihre Handlungen kontrollieren und danach streben können, Tierausbeutung möglichst zu vermeiden und dies die Voraussetzung dafür darstellt, Pflichten gegenüber Tieren übernehmen zu können und es falsch ist, Tiere auszubeuten, sollten sie dies auch nicht tun. Du bist so ein Mensch, der die Ausbeutung möglichst unterlassen kann, so musst du vegan leben.“

Man könnte noch weitere Voraussetzungen anführen – etwa, dass es um ein gutes, gelingendes Leben geht und das Verhalten von Tieren dafür kein Maßstab ist, oder dass man einer solchen Handlung nicht zustimmen würde, wenn man sich selbst in der Opferposition befände; oder dass man auch im Humankontext eine ungerechte Nutzung ablehnt – unter Beachtung des Gleichheitsgrundsatzes, der besagt, dass gleiche Fälle gleich und ungleiche Fälle ungleich zu behandeln sind.

Was ist kritisches und rationales Denken?

Wer Argumente beurteilen will – ob eigene oder fremde – sollte lernen, sie nicht affektiv anzugehen, sondern rational-analytisch zu prüfen. Es geht darum, Aussagen und Argumente zu rekonstruieren, sie in einem rationalen Rahmen in ihrer stärksten möglichen Form wiederzugeben (→ Stahlmann-Prinzip) und zu bewerten, was wirklich für oder gegen etwas spricht.

Kritisch zu denken bedeutet, das eigene Urteil nicht vorschnell zu fällen, sondern bewusst zu prüfen, zu unterscheiden und sich dabei an Maßstäben der Rationalität zu orientieren – also nicht willkürlich zu urteilen und zu bewerten. 

Zwei Formen von Rationalität sind dafür zentral:

  1. Zielgerichtete Rationalität:
    Wenn ich ein bestimmtes Ziel erreichen will (z. B. jemanden überzeugen) und Mittel X dafür geeignet ist, dann ist es rational, X zu wählen.

  2. Wahrheitsorientierte Rationalität:
    Auch wenn wir oft nicht wissen, was genau wahr ist, gilt: Wir handeln rational, wenn wir das glauben, bei dem gute Gründe dafür sprechen, dass es wahr ist. Oder einfacher: Wir sollten glauben, was höchstwahrscheinlich stimmt – nicht, was wir nur hoffen oder fühlen.

Aber was sind gute Gründe? Einmal zur Orientierung vorweg: Gründe sind immer Aussagen, aber nicht alle Aussagen sind Gründe für etwas. Gründe erfüllen eine funktionale Rolle – sie sollen etwas erklären, rechtfertigen oder stützen. Zum Beispiel: „Es regnet“ ist eine Aussage – zunächst einfach nur eine Feststellung. Sie wird aber erst dann zu einem Grund, wenn ich sage: „Ich nehme einen Regenschirm mit, weil es regnet.“ Dann erfüllt dieselbe Aussage eine begründende Funktion. Aussagen sind – vereinfacht gesagt – sprachliche Einheiten, die etwas behaupten. Man kann also sagen: Jede Begründung ist eine Aussage, weil nur Aussagen etwas begründen können. Aber nicht jede Aussage ist eine Begründung, denn viele Aussagen stehen einfach für sich, ohne etwas zu rechtfertigen.

Mengenlogisch lässt sich das Verhältnis von Gründen und Aussagen mit dem Verhältnis von Häusern zu Bauwerken vergleichen: So wie alle Häuser Bauwerke sind, aber nicht alle Bauwerke Häuser, so sind auch alle Gründe Aussagen, aber nicht alle Aussagen Gründe. Es liegt hier eine logisch-semantische Beziehung vor: Es ist notwendig, dass ein Haus ein Bauwerk ist – ohne diese Eigenschaft wäre es kein Haus.
Aber ein Bauwerk muss nicht notwendig ein Haus sein, es kann auch eine Brücke oder ein Turm sein.
Ein Haus zu sein ist also hinreichend, um ein Bauwerk zu sein – aber nicht notwendig für den Begriff „Bauwerk“. 

Nun kommen wir zur Überzeugung. Eine Überzeugung zu haben, heißt zu glauben, dass sich etwas auf eine bestimmte Weise verhält. Der Inhalt dieser Überzeugung lässt sich in der Regel in sprachlicher Form ausdrücken – sei es in Lautsprache, Schrift oder Zeichensprache. Nonverbale Kommunikationsmittel wie Mimik oder Gestik können Überzeugungen andeuten, sind aber in ihrer Ausdruckskraft weniger eindeutig.

Das Verhältnis von Überzeugungen zu Aussagen verdient an dieser Stelle auch seine Aufmerksamkeit. Was Aussagen sind, haben wir bereits geklärt. Überzeugungen sind psychischer Natur, also bewusstseinsabhängige Einstellungen zu bestimmten Inhalten. In der Philosophie gibt es zwei Auffassungen dazu: Die eine sagt, dass jede Überzeugung auch als sprachlicher Gedanke formulierbar sein muss – also so etwas wie ein innerer Satz („Ich glaube, dass ...“). Die andere meint, dass Überzeugungen auch ohne Sprache möglich sind – etwa in Form von Bildern im Kopf, intuitivem Wissen oder durch Verhalten, das auf eine bestimmte Erwartung hindeutet. Letzteres erscheint insbesondere bei Tieren oder präverbalen Kindern plausibel: Es wäre wenig überzeugend zu behaupten, dass etwa ein Hund keine Überzeugung haben kann, dass sein Futter in der Schublade ist, nur weil er diesen Gedanken nicht in sprachlicher Form ausdrücken kann.

Sätze wie „Guten Morgen!“, „Aua“ oder „Wie geht’s zum Bahnhof?“ sind keine Überzeugungen und damit auch keine Aussagen. Überzeugungen können zwei Qualitäten besitzen:

  1. Eine Überzeugung, die sich auf Faktisches bezieht – also auf eine Tatsachenbehauptung über die Welt, so wie sie ist – steht grundsätzlich unter der Differenz wahr oder falsch. Das bedeutet: Eine solche Aussage trifft entweder zu oder eben nicht. Das gilt unabhängig davon, ob wir den sogenannten Wahrheitswert – also ob sie tatsächlich zutrifft – bereits kennen oder je kennen können. Aussagen über Tatsachen zielen darauf ab, mit der Wirklichkeit übereinzustimmen. Wahrscheinlichkeiten betreffen hingegen nicht die Wahrheit selbst, sondern unser Verhältnis zu ihr – insbesondere dann, wenn wir unsicher sind oder nicht alle Informationen haben. Sie drücken sogenannte epistemische Grade der Überzeugung aus – das heißt: wie stark wir auf Grundlage vorhandener Hinweise oder Modelle annehmen, dass eine Aussage zutreffen könnte. Wahrscheinlichkeitsaussagen sind deshalb keine Abstufungen von Wahrheit, sondern Werkzeuge, um mit unserer Unsicherheit umzugehen. Beispiel: Ich kann überzeugt sein, dass die Erde eine Scheibe ist – aber dadurch wird es nicht wahr. Wahr ist eine Überzeugung nur, wenn sie mit der Realität übereinstimmt, also wenn der beschriebene Sachverhalt tatsächlich so ist.

  2. Ethische Überzeugungen hingegen können nur im Hinblick auf einen bestimmten Zweck zielführend sein – oder sie können im Widerspruch zu etwas stehen, zum Beispiel zu anderen Überzeugungen oder zu einem ethischen Prinzip. Beispiel:
    Ich kann überzeugt sein, dass es gut ist, anderen zu helfen. Ob diese Überzeugung zielführend ist, hängt davon ab, inwieweit sie beiträgt, einen bestimmten Zweck zu erreichen.

Von Überzeugung zu Wissen

Eine wahre Überzeugung allein reicht nicht aus, um von Wissen zu sprechen. Erst wenn es gerechtfertigt ist, zu glauben, dass sie wahr ist – also wenn gute Gründe dafür vorliegen – sprechen wir von Wissen. Nach der traditionellen Erkenntnistheorie ist Wissen eine wahre und gerechtfertigte Überzeugung, auch wenn es kritische Stimmen zu diesem klassischen Verständnis gibt.

Wichtig ist dabei, dass sich diese Auffassung nur auf faktische Überzeugungen anwenden lässt – also solche, die sich auf Tatsachen beziehen, deren Wahrheitsgehalt prinzipiell überprüfbar ist. Bei ethischen Überzeugungen hingegen entfällt dieser Maßstab, da hier keine objektive Wahrheit im gleichen Sinne feststellbar ist. Dennoch können empirische Aussagen – also solche, die sich auf einen Sachverhalt in der Welt beziehen und durch Beobachtung überprüft werden können – Teil ethischer Argumente sein. Begriffe wie „Leiden“, „Schaden“ oder „Wohlbefinden“ sollten zumindest prinzipiell einer empirischen Klärung zugänglich sein, wenn sie in normativen Begründungen verwendet werden.

Ethische Überzeugungen können nicht im gleichen Sinne als Wissen gelten wie faktisches Wissen. Stattdessen werden sie danach bewertet, ob sie sich als zielführend und zweckdienlich erweisen. Allerdings ist weiter zu beachten, dass es bei der Prüfung ethischer Überzeugungen nicht immer nur um Zweckdienlichkeit geht. Es kann ebenso darum gehen, ihre logische Belastbarkeit oder konsistente Begründungsstruktur zu untersuchen – also etwa, ob sie widerspruchsfrei sind. Die Forderung nach empirischer Überprüfbarkeit hat in den Naturwissenschaften einen selbstverständlichen Stellenwert: Aussagen, die das Bestehen eines Sachverhalts behaupten, sollten zumindest prinzipiell überprüfbar sein. In der Ethik ist das jedoch nicht in jedem Fall möglich. Viele normative Aussagen – etwa die der Gerechtigkeit – enthalten notwendigerweise Bestandteile, die sich einer direkten empirischen Überprüfung entziehen.

Das bedeutet jedoch nicht, dass in der Ethik beliebige Behauptungen ohne Maßstab gelten können. Vielmehr lässt sich als zusätzliche – aber differenziert anzuwendende – Minimalforderung formulieren, dass ethische Sätze sich nicht grundsätzlich jeder Form der Prüfung entziehen sollten. Das heißt: Selbst wenn sich einzelne Elemente nicht empirisch erfassen lassen, sollten ethische Aussagen insgesamt logisch konsistent, zusammenhängend und argumentativ nachvollziehbar sein.

Gute Gründe sind solche, die eine Überzeugung rational stützen – unter Berücksichtigung des jeweiligen Erkenntnisstands. Sie sind vorläufig gültig und können durch neue Erkenntnisse revidiert werden.

Gute deskriptive und normative Gründe (Sätze)

Werte und Normen sind für uns handlungsleitend. Auch wenn wir sie nicht immer ausdrücklich benennen, spiegeln sie sich häufig in unserem Verhalten wider – etwa indem wir solidarisch handeln, auf Rechte pochen oder bestimmte Praktiken ablehnen. In anderen  Fällen äußern wir unsere Überzeugungen aber auch explizit, besonders dann, wenn Entscheidungen anderer unser Leben in relevanter Weise beeinflussen. Wir fordern faires Verhalten von Entscheidungsträgern, kritisieren ungerechtfertigte Schlechterbehandlungen oder bringen im Forschungskontext ethische Bedenken (in Form der Einschränkung der Forschungsfreiheit) zum Ausdruck. Dabei machen wir deutlich: Unser Urteil beruht nicht nur auf persönlichen Vorlieben, sondern u.a auf Gerechtigkeitsüberlegungen, die einen Maßstab bilden, an dem wir unser Handeln ausrichten.

Solch ein intersubjektiv nachvollziehbarer Maßstab gibt uns Orientierung: Er hilft uns dabei, zu klären, was im Hinblick auf ein bestimmtes Ziel geboten, verboten oder freigestellt ist. Um nachvollziehen zu können, wie solche Bewertungen begründet werden, ist es hilfreich, zwischen verschiedenen Arten von Gründen zu unterscheiden – insbesondere zwischen deskriptiven und normativen Gründen. 

Deskriptive Gründe

Gute deskriptive Gründe stützen sich auf Tatsachen oder Beobachtungen, die in sogenannten Ist-Sätzen ausgedrückt werden. Sie beruhen auf Gegebenheiten, die sich mit wissenschaftlichen Methoden ermitteln lassen, und dienen dazu, eine Schlussfolgerung auf faktischer Ebene plausibel zu machen – sie beantworten also die Frage: Warum ist X (höchstwahrscheinlich) der Fall?

Beispiel:

  1. Allgemeine Aussage (Allsatz): Wasser gefriert unter normalen Bedingungen bei Temperaturen unter 0 °C.

  2. Konkrete Beobachtung: Heute Nacht waren es −5 °C.

  3. Schlussfolgerung: Das draußen stehende Wasser ist höchstwahrscheinlich gefroren.

Ein Allsatz ist dabei eine Aussage, die etwas Allgemeines über alle Dinge einer bestimmten Art aussagt. 

Solche Schlüsse erscheinen im Alltag wie Selbstverständlichkeiten. Tatsächlich handelt es sich aber nicht um logisch zwingende Aussagen, sondern meist um das Ergebnis induktiver Verallgemeinerungen, das heißt, man schließt aus der wiederholten Beobachtung einzelner Fälle auf ein allgemeines Muster. Dabei ist zu beachten:

Beobachtungen zeigen uns, was bisher passiert ist – nicht, was immer passieren wird. Selbst wenn wir viele Fälle kennen, bleibt ungewiss, ob das Muster in allen künftigen Fällen gilt.

Verallgemeinerungen gehen über das Beobachtete hinaus. Sie setzen stillschweigend voraus, dass sich Gleiches unter gleichen Bedingungen gleich verhält – eine Annahme, die plausibel klingt, sich aber nicht beweisen lässt.

Ein einziges Gegenbeispiel kann eine solche Regel widerlegen. Zum Beispiel kocht Wasser in großer Höhe nicht bei 100 °C, weil dort der Luftdruck niedriger ist.

Nur weil etwas häufig beobachtet wurde, ist es nicht automatisch verlässlich. Entscheidend ist die Güte der Methode – also wie systematisch, kontrolliert und wiederholbar die Beobachtungen sind. Nur dann kann eine Verallgemeinerung als belastbar gelten.

Wir übertragen ständig Erfahrungen aus der Vergangenheit auf zukünftige Fälle. Wenn wir z. B. morgens den Autoschlüssel drehen, erwarten wir, dass der Motor anspringt – einfach, weil es bisher so war. Aber: Es gibt keine Garantie, dass Dinge in der Zukunft genauso geschehen wie die Vergangenheit.

Dabei gibt es so genannte deduktive Argumente, die aus allgemeinen Voraussetzungen (Prämissen) mit logischer Notwendigkeit eine Schlussfolgerung ableiten – sie sind logisch zwingend (vom Allgemeinen zum Einzelfall); Und so genannte nicht-deduktive Argumente, welche verschiedene Formen des Schlussfolgerns umfassen, bei denen die Konklusion nicht mit logischer Notwendigkeit aus den Voraussetzungen folgt, sondern nur mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit oder Plausibilität. Dazu gehören zum Beispiel:

  1. Induktive Argumente, bei denen von wiederholten Einzelfällen auf eine allgemeine Regel geschlossen wird (z. B. „Wasser kocht bei 100 °C“).

  2. Abduktive Argumente, bei denen eine Beobachtung durch die plausibelste Erklärung gedeutet wird (z. B. „Es riecht nach Rauch – vermutlich brennt etwas“). 

  3. Auch andere nicht-deduktive Formen wie analoge Schlüsse (von bekannten Ähnlichkeiten auf unbekannte Eigenschaften).

Das Thema wird im nächsten Teil genauer behandelt. 

Die Geltung deskriptiver Aussagen orientiert sich an der Übereinstimmung mit der Wirklichkeit. Dies entspricht der sogenannten Korrespondenztheorie der Wahrheit: Eine Aussage gilt dann als wahr, wenn sie mit beobachtbaren Tatsachen übereinstimmt. Mit empirisch überprüfbar meint man hier, dass sich eine Aussage durch systematische Beobachtung, Messung oder Datenerhebung an der Realität testen lässt. Das Ziel ist, herauszufinden, ob die Aussage mit erfahrbaren Tatsachen übereinstimmt – also ob sie sich bewähren kann, wenn man sie mit der Welt konfrontiert. 

Normative Gründe

Normative Gründe stützen Urteile darüber, was man tun oder unterlassen sollte. Sie bewerten Handlungen im Hinblick auf bestimmte Ziele oder Werte – z. B. ob etwas verboten, geboten oder über das Pflichtmaß hinausgehend (supererogatorisch) ist. Sie beantworten damit nicht die Frage „Was ist der Fall?“, sondern „Was soll gelten?“ oder „Was ist richtig?“

Ein klassisches Beispiel lautet: „Wenn wir faire Wettbewerbsbedingungen wollen, sollten wir Doping verbieten.“ Die normative Relevanz dieses Arguments liegt nicht in der bloßen Handlung des Dopings, sondern in der Zielorientierung – dem Wunsch nach Fairness im Wettbewerb. Es geht also nicht allein darum, dass Doping passiert, sondern darum, dass es mit einem übergeordneten Wert, hier der Fairness, in Konflikt steht.

Die Stärke des Arguments ergibt sich aus der gemeinsamen Übereinkunft, dass Fairness ein wünschenswertes Ziel ist. Ohne diese Zielsetzung verliert das Verbot seine Basis.

Normative Aussagen können unterschiedliche Formen annehmen:

  1. Gebote (Du sollst X)

  2. Verbote (Du sollst nicht X)

  3. Freistellung (X ist weder geboten, noch verboten)

  4. Supererogatorisches – also Handlungen, die ethisch lobenswert, aber nicht verpflichtend sind (“Du musst nicht spenden, aber es wäre gut, wenn du es tust.“)

Man bezeichnet normative Gründe auch als handlungsleitend oder zielgerichtet.

Ein anschauliches Beispiel für eine Vorgaben-Norm findet sich in technischen Standards, wie etwa der USB-C-Norm. Sie legt fest, dass gewisse Anschlüsse kompatibel sein sollen, weil dies die Handhabung vereinfachen und die Zusammenarbeit zwischen Geräten verbessern soll. Auch wenn es sich nicht um eine ethische Norm handelt, veranschaulicht das Beispiel den relevanten Punkt: Normen drücken aus, was gelten soll, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen.

In Argumentationen spricht man von einer normativen Prämisse, wenn eine Aussage das Urteil darüber enthält, was richtig, geboten oder wünschenswert ist. Solche Prämissen können explizit formuliert oder implizit vorausgesetzt sein. Zu beachten ist:

Eine normative Schlussfolgerung lässt sich nur dann argumentativ rechtfertigen, wenn sie auf mindestens einer normativen Prämisse beruht.

Fehlt diese, liegt ein Sein-Sollen-Fehlschlusse vor – also der illegitimen Ableitung einer normativen Aussage allein aus deskriptiven Tatsachen. 

Was heißt eigentlich ‘überreden’ – und was ‘überzeugen’?

Wer überredet, erzeugt in erster Linie Zustimmung, nicht Einsicht. Es geht um Wirkung – durch Mitleid, Bewunderung, Angst oder Autorität. Solche Mittel finden sich häufig in Werbung, Religion oder Politik, wo bestimmte Begriffe – wie ‘Freiheit’ oder ‘Demokratie’ – eher Gefühle hervorrufen sollen, anstatt Probleme zu analysieren.

Einige typische Merkmale der Überredung sind:

  1. Berufung auf Werte, ohne sie zu prüfen

  2. Autoritäts-, Traditions- und Religionsverweise

  3. Androhung von Gefahren oder Verheißung großer Ziele

  4. suggestive Wiederholungen

  5. und meist: eine einseitige (unidirektionale) Kommunikation 

Nehmen wir ein banales Beispiel aus der Werbung:

  1. Wert: Gesundheit

  2. Autorität: Eine Person, die durch einen weißen Kittel als Experte ausgewiesen wird

  3. Gefahr: Karies und Parodontose

  4. Lösung/Rettung: Die neue Zahnpasta

  5. Wiederholung: Man schaltet den Spot häufiger, oft hintereinander

  6. Einseitige Kommunikation: Der eine wirbt, der andere glaubt (gegebenenfalls)

Überredung kann Zwang ersetzen – das macht sie gesellschaftlich attraktiv. Doch sie bleibt anfällig für Missbrauch, denn sie übergeht gewissermaßen die Urteilskraft des anderen.

Anders die Überzeugung: Sie zielt nicht auf bloße Zustimmung, sondern auf das Verstehen ab. Wer überzeugen will, argumentiert – das heißt, er bringt Gründe vor, die im Prinzip auch das Gegenüber anerkennen oder verstehen kann. Dabei wird eine Behauptung aufgestellt, zu der es Gründe gibt, und diese Gründe werden zur Prüfung angeboten.

Wer mit der Einstellung diskutiert, unbedingt gewinnen zu wollen, läuft Gefahr, widersprechende Argumente vorschnell abzutun oder eigene Schwächen zu übersehen. Ein Sieg, der ohne echte Auseinandersetzung mit den Gründen errungen wird, ist kein Beitrag zu einem besseren Verständnis – sondern bloß ein rhetorischer Erfolg. Eine wirklich gelungene Argumentation zeigt sich gerade darin, dass sie zum Weiterdenken anregt – auch dann, wenn sie die eigene Position infrage stellt oder zur Revision zwingt.

Fazit und Aussicht

Dieser einführende Teil soll den Wert der Zurückhaltung vermitteln: Nicht vorschnell glauben, zu wissen. Nicht reflexhaft meinen, im Recht zu sein. Vielmehr sollten wir das eigene Für-wahr-halten immer wieder auf den Prüfstand stellen. Denn wer überzeugt sein will, ohne sich zu fragen, worauf diese Überzeugungen gründen, handelt leichtfertig. Die Gesellschaft unserer Zeit leidet nicht an zu wenig Meinungen – sondern an zu viel Selbstgewissheit. 

Das Wichtigste, was du mitnehmen solltest, im Schnelldurchlauf: 

Warum über das Argumentieren nachdenken? 

  1. Weil nicht alles, was überzeugend wirkt, auch gute Gründe hat. 

  2. Weil es einen Unterschied zwischen Recht haben und Recht behalten wollen gibt. 

  3. Weil wir ständig überzeugt sind – aber selten fragen wir, wie wir zu dieser Überzeugung gekommen sind.

Wir haben uns damit beschäftigt, was es heißt, überzeugt zu sein und was gute Gründe ausmacht. Gute Gründe rechtfertigen eine Überzeugung – das heißt: Sie machen sie rational nachvollziehbar.

Im Fall deskriptiver Überzeugungen sind Gründe dann gut, wenn sie wahrheitsgemäß sind, also mit der Realität übereinstimmen.

Im Fall normativer Überzeugungen sind Gründe dann gut, wenn sie zielführend im Hinblick auf unsere praktischen Zwecke oder Werte sind. 

Wir haben den Unterschied herausgearbeitet zwischen der Gewinnung einer bloßen Zustimmung – etwa durch rhetorische Mittel – und dem wirklichen Überzeugen. Denn nicht jede bejahende Reaktion ist schon ein Ausdruck begründeter Einsicht. Wer überzeugt ist, der glaubt aus Gründen – und zwar aus solchen, die einer Prüfung standhalten sollen. Diese Unterscheidung ist zentral, wenn wir redlich denken und streiten wollen.

Wer überzeugend argumentieren will, braucht mehr als gute Absichten – nämlich das Verständnis dafür, was ein gutes Argument ausmacht und wie man es erkennt. Im nächsten Teil geht es deshalb darum, wie Argumente aufgebaut sind, was ein Widerspruch ist (und welche Formen es davon gibt), wie man Mehrdeutigkeiten aufdeckt und mit ein paar gezielten Fragen den Überblick behält – auch dann, wenn man sich durch ein Wirrwarr aus Ablenkungen, Fehlschlüssen und Scheinargumenten kämpfen muss.

Autoren
Green Quantum, Satzaffe, Tierethik & Veganismus

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Auf dem Holzpferd